Handschrift
Die Sammelhandschrift enthält lateinische Texte insbesondere aus dem naturkundlichen Bereich (u.a. Thomas de Cantimprato: Liber de naturis rerum). Die Blätter 60r-69v überliefern – wohl von einer Hand geschrieben – medizinische Rezepte in deutscher und lateinischer Sprache. Hier finden sich unter diversen Rezepten gegen Augenkrankheiten und Frauenleiden auch einige Anleitungen zur Herstellung von Farben oder zur Pergamentbehandlung. Interessant ist dabei u.a. eine Anleitung zum Selberbau eines „Fensterglases“ aus Pergament:
Text
(fol. 63rb) Wildu machen güt fenster glaz von pirmät, daz es durichsichtig sey also ein parill, so nym permet als (fol. 63va) vil du jr haben wild vnd leg es in ein wasser achtag. Vnd nem es dann her wider aüz vnd vasse sew schon vber ain räm vnd mach mit varib auf daz permät was du haben wild vnd lazz es druken an dem luft. Will du dann, daz es durichsichtig werd, sa nym ein materij, die haizzet verneys, vnd streich vber das venster glaz vnd tue ein schon tuch daruber vncz daz es truken werd. So hastu ein schons fenstergläs, daz wisse!
Übersetzung
„Willst Du ein gutes Fenster aus Pergament machen, so dass es durchsichtig ist wie ein Berillus [= Kristallstein], so nimm Pergament so viel du benötigst und lege es acht Tage lang in Wasser. Nimm es dann wieder heraus und spanne es schön über einen Rahmen und mache Farbe auf das Pergament, wie du es haben willst und lass es an der Luft trocknen. Willst du dann, dass es durchsichtig wird, so nimm ein Material, das Firnis [vermutl. Leinölfirnis] heißt, und streiche das Fensterglas damit ein und lege ein schönes Tuch darüber, bis es getrocknet [= gehärtet] ist. Auf diese Weise bekommst du ein schönes Fensterglas, wisse das!“
Kommentar:
Anders als beim Leder wird bei der Pergamentherstellung die Tierhaut (meist von Kälbern, Ziegen oder Schafen) nicht gegerbt, sondern zunächst in Kalklösung eingeweicht. Anschließend werden zuerst Haare und Oberhaut abgeschabt, dann die Tierhaut unter Spannung getrocknet und schließlich wird die Oberfläche mit Bimsstein geglättet und gedünnt sowie gekalkt. Durchsichtige Pergamente wurden in mittelalterlicher Zeit zum Durchpausen von Bildern oder Mustern sowie als Ersatz für Fensterglas verwendet. Für durchsichtiges Pergament ist jedoch – wie in der Anleitung der Grazer Handschrift – ein weiterer Bearbeitungsprozess notwendig, denn Pergament ist nicht von Natur aus transparent. Noch vorhandene Kalkreste müssen zunächst durch Auswaschen bzw. Einweichen (in Wasser, zuweilen auch Urin) entfernt werden. Manchmal muss das Pergament noch in eine Beize gelegt und abermals abgeschabt werden, um es möglichst dünn zu machen. Der wohl wichtigste Schritt ist auch in der DIY-Anleitung erwähnt: Das Einlegen in Wasser und das Aufspannen des Pergaments. Erst bei starker Spannung werden Pergamente lichtdurchlässig, da sich „zwischen den in laminaren Schichten geordneten Gewebefasern Luft ansammelt, die einen anderen optischen Brechungsindex hat als die Gewebeflüssigkeit“ (Oltrogge, S. 657). Damit das Pergament noch transparenter wird und damit als Fensterglasersatz geeignet ist, wird es abschließend mit Wein, Leim, Öl oder Firnis eingestrichen und durch weitere Trocknung gehärtet. Der Bearbeitungsprozess erfordert somit ein durchaus handwerkliches und – wie in der zitierten Beschreibung zur Bemalung – auch künstlerisches Geschick.
Literatur
Oltrogge, Doris: Der Liber illuministrarum aus Kloster Tegernsee. Edition, Übersetzung und Kommentar der kunsttechnologischen Rezepte. Hrsg. vom Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg. Köln 2005, S. 650 – 657 (Pergamentherstellung und Bearbeitung).
Digitalisat der Handschrift: https://digital.obvsg.at/urn/urn:nbn:at:at-ubg:2-29053
Flora Dokonal und Julia Hofmarcher, Projektarbeit im Rahmen des Seminars „VU Historische Medien (Mittelalterliche Handschriften)“, Institut für Germanistik (Germanistische Mediävistik, Univ.-Prof. Dr. Julia Zimmermann)