Universitätsbibliothek Graz, Ms. 287
Pergament, 250 Bl., 270 x 190mm, 1. Viertel 13. Jhd., Chorfrauenstift Seckau
Handschrift
Die aus dem Chorfrauenstift Seckau stammende Handschrift enthält neben Zeittafeln zur Osterberechnung, einer Mariensequenz und lateinischen Nachträgen (14. Jhd.) auch ein an den Beginn der Handschrift gesetztes lateinisches Kalendarium (fol. 1v–7r). Für jeden Monat findet sich am oberen Blattrand ein kurzer, in deutscher Sprache verfasster Ratschlag für körperliches Wohlbefinden (die sogenannten ‚Grazer‘ bzw. ‚Seckauer Monatsregeln‘).
Text
(fol. 1v) In dem manot solt dv niht chaltes niht ezzen (Januar). (fol. 2r) Hie behvote dich vor dem froste. vnd la uf der hant (Februar). (fol. 2v) Hie izze braten. vnd bade emzechlichen (März). (fol. 3r) Hie nim getranch. vnd la uf dem fvoze (April). (fol. 3v) Hie iz diche ephich vnd poleivm (Mai). (fol. 4r) Hie iz lattoch. vnd obez. vnd trinch nvohter (Juni). (fol. 4v) Hie solt du niht lazzen. vnd gamandream vnd chvme ezzen (Juli). (fol. 5r) Hie vermide heizziu ezzen. Diu werrent (August). (fol. 5v) Hie solt lazzen. vnd dittamane vnd consolidam ezzen (September). (fol. 6r) Hie iz geizen vnd schafen milch. vnd gariophil (Oktober). (fol. 6v) Hie iz galgan vnd cinemin. daz solt dv dir gvot sin (November). (fol. 7r) Warmiv dinch sint gvot hie genozzen (Dezember).
Übersetzung
(fol. 1v) In diesem Monat sollst du nichts Kaltes essen (Januar). (fol. 2r) Hier hüte dich vor dem Frost und lass aus der Hand zur Ader (Februar). (fol. 2v) Hier iss Gebratenes und bade häufig (März). (fol. 3r) Hier nimm Trank und lass aus dem Fuß zur Ader (April). (fol. 3v) Hier iss viel Sellerie und Flohkraut (Mai). (fol. 4r) Hier iss Salat und Obst und trinke auf nüchternen Magen (Juni). (fol. 4v) Hier sollst du nicht zur Ader lassen, aber Schafkraut und Kümmel essen (Juli). (fol. 5r) Hier vermeide erhitzende Speisen. Die schaden (August). (fol. 5v) Hier sollst du zur Ader lassen und Aschwurz und Beinwell essen (September). (fol. 6r) Hier nimm Ziegen- und Schafmilch zu dir und Gewürznelken (Oktober). (fol. 6v) Hier iss Galgant und Zimt. Das wird dir guttun (November). (fol. 7r) Hier ist es gut, warme Dinge zu genießen (Dezember).
Kommentar:
Im Mittelalter herrschte die Vorstellung, Gesundheit hänge vom Gleichgewicht der vier Körpersäfte ab (Blut, Schleim, gelbe Galle, schwarze Galle). Dieses Gleichgewicht konnte von äußeren Faktoren wie Nahrung oder den Jahreszeiten beeinflusst werden. Kälte und Hitze waren jeweils mit deren Gegenteil auszugleichen. Das nennt man im Lateinischen contraria contraiis, also übersetzt „Heilen durch Entgegengesetztes”.
Winter: In der kalten und feuchten Zeit sollte man Warmes essen, um gesund zu bleiben. Vor allem relevant im Mittelalter, wenn es um Gesundheit ging, war aber auch der Aderlass. Das Blut musste dabei von einer bestimmten Körperstelle abgenommen werden, die abhängig von der Krankheit, der Jahreszeit und dem Stand der Planeten war. Im Februar lautet der Gesundheitstipp: „Hie behiute dich vor dem froste. Und la uf der hant.“ Der Aderlass war das ganze Jahr über von Bedeutung.
Frühling: Diese Jahreszeit ist weder zu kalt noch zu warm und dadurch relativ ausgewogen. Es geht darum, den Körper zu entschlacken und ihn nach dem kalten und feuchten Winter im Einklang mit der Natur zu reinigen. Im März wird geraten, Gebratenes zu essen und häufig zu baden: „Hie izze braten. Und bade emzechlichen.“ Das Bad stand dabei sinnbildlich für die äußere und innere Reinigung. Im April sollte der Aderlass aus dem Fuß erfolgen und es wurde geraten, reichlich zu trinken: „Hie nim getranch. Und la uf dem fuoze.“
Sommer: Für die heißen und trockenen Monate wurde eine kühlende und feuchtigkeitsspendende Ernährung dringend empfohlen. Deshalb sollte man im Juni Salat und Obst essen, vor allem Ersterer galt als sehr kalt. Im Juli sollte man unbedingt auf den Aderlass verzichten, vermutlich um der Gefahr eines Kreislaufkollapses durch Blutverlust vorzubeugen. Schafkraut und der verdauungsfördernde sowie blähungsmindernder Kümmel waren dagegen empfohlen.
Herbst: Wegen des herannahenden Winters galt es einen ‚Winterspeck‘ anzuessen und Vorräte anzulegen. Die kühlere Jahreszeit begünstigte auch wieder den Aderlass. Im September sollte Aschwurz (Diptam) und Beinwell (Consolida) gegessen werden, beides giftig und schwer zu dosieren: „Hie solt lazzen. und dittamane und consolidam ezzen.“ Im Oktober wurde empfohlen, Ziegen- und Schafmilch zu trinken („Hie iz geizen und schafen milch.“), da die nährstoff- und fettreiche Milch die Bildung des ‚Winterspecks‘ fördern sollte. Zudem wirkten Nelken wärmend, stärkend und appetitanregend.
Literatur
- Holanik, Wolfgang/Zeilinger, Florian: Vorbeugen ist besser als heilen: Fachwissenschaftliche Hintergrundinformationen zum Gespräch von ‚Arzt‘ und ‚Koch‘ über mittelalterliche Ernährung und Gesundheitsvorsorge im Rahmen einer Erlebnisführung auf dem Seckauer Literaturpfad (mit einem Rezeptanhang). In: Kochbuchforschung interdisziplinär. Beiträge der kulinarhistorischen Fachtagungen in Melk 2015 und Seckau 2016. Hrsg. von Andrea Hofmeister-Winter. Graz 2017, S. 269–292
Digitalisat der Handschrift: https://unipub.uni-graz.at/obvugrscript/content/pageview/5570570
Hanna Dornhofer und Angelina Huber, Projektarbeit im Rahmen des Seminars „EX Historische Medien (Mittelalterliche Handschriften)“, Institut für Germanistik (Germanistische Mediävistik, Univ.-Prof. Dr. Julia Zimmermann)