Handschrift:
Die Handschrift ist in zwei Teile untergliedert: Der erste Teil (Bl. 1r-60v) enthält Hans Czynners Anleitungen zum Schwert- und Dolchfechten im Harnisch sowie zum Ringkampf; der zweite Teil (Bl. 61r-89r) beinhaltet Abschriften der Fechtlehre des Juden Lew, die sich dem Rossfechten, dem Fußkampf und dem sog. Bucklerfechten widmet. Den beiden Teilen folgen noch die ‚Zwölf Lehren für den angehenden Fechter‘, eine Selbstdarstellung Cynners sowie einige Nachträge. Czynners Fecht- und Ringlehre ist mit 96 lavierten Federzeichnungen illustriert; 18 weitere dürften noch geplant gewesen sein, wurden aber nicht umgesetzt, wie an Aussparungen auf diesen Blättern ersichtlich ist.
Kommentar
Ob mit Dolch, Schwert oder bloßen Händen – die spätmittelalterliche, 1538 in Passau entstandene Handschrift MS. 963 gibt in Text und Bild Anleitungen, wie man sich im Kampf verteidigen und behaupten kann. Bei der schmucklosen Schrift handelt es sich um eine spätgotische Kanzleikursive, die von zwei verschiedenen Händen geschrieben wurde. Bei den Illustrationen gibt es drei Varianten, die sich durch Farbgebung und Stil unterscheiden. Es handelt sich um lavierte Federzeichnungen (das heißt mit Wasser vermalte Tusche), in denen Angreifer und Verteidiger zur besseren Unterscheidung unterschiedlich koloriert wurden. Das Papier stammt nachweislich aus Krakau, wobei ungewiss ist, wie dieses an den Schreibort Passau gelangt ist.
Die Fecht- und Ringlehre gibt einen aufschlussreichen Einblick in das viel besungene kämpferische Handwerk der Ritter: Die Illustrationen zeigen immer zwei geharnischte Herren in verschiedenen Kampfpositionen, wobei die dargestellten Angriffs- und Gegenangriffsstrategien durch den Text erläutert werden. Mit dem Hinweis als do gemollet ist/stet („so wie man es dort gemalt sieht“) verweisen die Texte abschließend regelmäßig auf die Visualität der Illustrationen.
Textbeispiele (Bl. 17r–17v)
(17r) Aber eynn schtuck:
Schtych im ynwenigk zu seynem gsycht und fach in dem / beyn schwert streych vnd schlag im noch dem kop; versetzt / er dyr den mortschtrach, so stych im zu dem gesycht mith dem / orth; wert er dyr daß und schlecht dyr den ort ab, so thu / aber als du in zum kopp wolst schlachen; und laß deyn schwer[t] / uber seyn kopp auß fallen und fal mith deynen paden armen umb in / in seywne pade knipygen; heb in auff dych, so wyrfstu in / uber dych auß, als do gemollet ist.
(17v) Eyn pruch dar wyder:
Wen her dych bey deynen knipugen erhebt und dych uber sych / auss wyl werffen, so pys [sei] pehendt und greyff mit deyner / lyncken hant umb seyn halß; vnd kum mit der rechten der lincken / zu hylff und schleyß zu; und wen er dych hynn werffen wyl, / so mus er vber sych hyn auß gen, als so gemollet stet, und du / kumst obenn auff inn.
Auf Blatt 17r wird zunächst eine Verteidigungsstrategie erklärt: Setzt der Gegner zum mortschtrach an, also zum Mordschlag, so kann man ihn mit einem Stich mit der Schwertspitze (orth) ins Gesicht abwehren. Falls das nichts bringen sollte, möge man das Schwert zur Seite werfen, den Gegner bei den knipygen (Kniekehlen) packen und ihn aufs Kreuz werfen. Blatt 17v demonstriert sodann, wie man wiederum diesen eben beschriebenen Angriff abwehren kann: Statt sich niederwerfen zu lassen, soll man geschwind mit beiden Händen den Hals des Gegners packen. Will dieser einen nun umwerfen, bringt er sich selbst damit zu Fall, und im Bodenkampf kann der Angegriffene wieder die Oberhand gewinnen.
In der reichen Bildgestaltung werden spätmittelalterliche Kampftechniken in der Handschrift beinahe wie in einer Art Daumenkino dargestellt. Die Art der Darstellungen ist lehrreich und unterhaltsam zugleich, da sie uns einen Eindruck davon vermittelt, wie Zweikampfsituationen abgelaufen sein könnten. Und manche Szenen sind auch einfach lustig anzusehen.
Literatur
- Würgegriff und Mordschlag. Die Fecht- und Ringlehre des Hans Czynner (1538). Universitätsbibliothek Graz Ms. 963. Hrsg. und kommentiert von Ute Bergner und Johannes Gießauf. Graz: Akad. Druck- u. Verlagsanstalt 2006.
- Digitalisat der Handschrift: https://unipub.uni-graz.at/obvugrscript/content/pageview/6806458
Lea-Sophie Kravanja und Veronika Steinkellner, Projektarbeit im Rahmen des Seminars „VU Historische Medien (Mittelalterliche Handschriften)“, Institut für Germanistik, Germanistische Mediävistik, Univ.-Prof. Dr. Julia Zimmermann