Universitätsbibliothek Graz, Ms. 74 (fol. 303v)
Pergament, 362 Blatt, 41 x 31cm, vor 1477, Stift Seckau
Handschrift
Das Missale Salisburgense ist ein Messbuch, das in der Zeit vor 1477 in Augsburg entstand. Jakob Gerold ist als Mitwirkender und vorheriger Besitzer dank der Inschriften zu Beginn des Missale bekannt. Er fügte außerdem Notizen über die Entstehung des Namens Knittelfeld und den Türkeneinfall 1480 ein. Das Missale ist in lateinischer Sprache verfasst und weist neben roten Überschriften und farbigen Anfangsbuchstaben auch Bildinitialen mit Blattgold und mit Miniaturen versehene Zierranken auf.
Neben weiteren Legenden in lateinischer Sprache wird auch die Geschichte der Heiligen Katharina erzählt, die besonders für uns StudentInnen einer eindringlichen Betrachtung würdig ist. Katharina von Alexandrien ist im Mittelalter nach Maria die ranghöchste Heilige, gehört außerdem zu den vier Hauptjungfrauen und repräsentiert symbolisch christliche Weisheit und Gelehrsamkeit. Dank ihrer Tugenden und ihrer Legende – so bezeichnet man die Geschichten der Heiligen, sogenannte “Heiligenviten” – ist sie Schutzpatronin u.a. der PhilosophInnen, SchülerInnen, LehrerInnen und auch der Universitäten.
Was ist nun aber so legendär an Katharina von Alexandrien? Die Antwort offenbart sich rasch, wenn man einen Blick in ihre Legende wirft (zur besseren Verständlichkeit zitieren wir im Folgenden aus der mhd. Version der Legende im Passional nach Friedrich Karl Köpke).
Die Legende
In einer Zeit der Christenverfolgung tritt die junge Katharina entschlossen vor den herrschenden Kaiser, bezeichnet seine religiösen Praktiken als fehlgeleitet und seine Götter als unreine gote („unreine Götter“). Obwohl überwältigt von Katharinas Redekunst, begreift der Kaiser ihre Lehre nicht: Sulcher worte ummesweif der keiser wenic icht begreif mit sime stumpfen sinne („Solch umschweifende Worte begriff der stumpfsinnige Kaiser nicht“). Doch auch ihm ist bewusst, welche Weisheit in ihren Worten liegt, darum schickt er Boten in seine Länder, um die weisesten Männer nach Alexandrien zu lotsen. Sie sollen dem jungen Mädchen in einem Rededuell entgegentreten und Katharina in meisterhafter Rhetorik überbieten.
Als Katharina davon erfährt, bittet sie Gott um Hilfe und tritt am Tag darauf unbekümmert vor die 50 weisen Männer. Noch vor dem Wettbewerb sagt sie den Meistern voraus, dass ihr meisterlicher name sal mit schame erwinden, hie vinden sin endes guft (ihr „meisterlicher Name werde mit Scham vergehen, seine Überheblichkeit werde enden“). Mit ihrer leidenschaftlichen Streitrede für den christlichen Glauben lässt Katharina die Meister beschämt und sprachlos zurück, während dem Kaiser, als er dies bemerkt, vor Zorn Blut aus der Nase trieft. Katharina hat mit ihren Worten einen Strick geknüpft, den die „dummen Meister“ nicht lösen können. So kommentiert der Erzähler: und o ir tummen lute, wie ist uch vor uns hute die meisterschaft entrunnen, daz uch hie angewunnen ein wibesnam der eren sic und hat mit worten sulchen stric geknupfet, daz ir bosen nicht kunnet in gelosen! („Oh ihr dummen Leute, wie ist euch heute vor uns die Meisterschaft entronnen, dass gegen euch hier ein Weibsbild den Sieg der Ehre abgerungen hat und mit Worten einen solchen Strick geknüpft hat, dass ihr ihn schlechthin nicht lösen konntet!”).
Doch damit nicht genug: die weisen Männer sind allesamt so ergriffen und überzeugt von Katharinas Lehre, dass sie sich auf der Stelle zum christlichen Glauben bekennen: So sich, wir wollen in dirre vrist gelouben alle an Iesum Crist, von dem die iuncfrowe uns saget wand er zu gote uns wol behaget. Der tobende Kaiser lässt daraufhin alle 50 Weisen verbrennen. Auch mit den anschließenden Versuchen, Katharina gewaltsam von ihrem Glauben abzubringen, prallt er an ihrer Standhaftigkeit ab. Sogar die Kaiserin ist so von Katharina überwältigt, dass auch sie sich zum christlichen Glauben bekennt und deshalb vom Kaiser zu Tode gefoltert wird.
Dieses Schicksal soll nun auch Katharina und ihrem Widerstand ein Ende bereiten; sie soll gerädert werden: der meister machte vier rat, ein werc also gruwesam, […] manic scharf geworchter nagel was da gehaft alumme. („Der Meister machte vier Räder, ein so grausames Werk […] manch scharf gearbeiteter Nagel wurde ringsherum befestigt“). In der Ikonografie seit dem 13. Jh. ist die Heilige mit dem Attribut des Rades dargestellt; denn dieses zerbirst durch die Macht eines Engels während der Folter. Da das Martyrium keinen Eindruck auf Katharina macht, lässt der Kaiser sie enthaupten – deshalb wird sie unter anderem auch bei Kopfschmerzen angerufen. Auch wenn Katharina von Alexandrien schließlich den Märtyrerinnentod stirbt, hat sie ein Exempel des christlichen Widerstands statuiert und ist aufgrund ihrer Redekunst und Furchtlosigkeit wortwörtlich zur Legende geworden.
Eine bemerkenswerte Besonderheit des Missale Salisburgense ist es, dass die Legenden mit illustrierten Initialen beginnen. Die Bildinitiale (fol. 303v) zeigt die Heilige Katharina von Alexandrien vor goldenem, mit Prägungen versehenem Hintergrund. Man erkennt sie an ihren Attributen: Die Krone und das offene Haar verweisen auf ihre königliche Herkunft. Das Schwert ist Zeichen der MärtyrerInnen, besonders jener, die enthauptet wurden. In älteren Darstellungen wird sie häufig mit einer Palme dargestellt, die im späten 13. Jh. durch das Schwert ersetzt wird. Weitere Attribute, die in der Ms. 74 jedoch fehlen, sind ein Rad – entweder ganz oder zerbrochen – und ein Buch.
Als Schutzheilige der Universitäten, die sich selbst von 50 Gelehrten nicht unterkriegen ließ, lehrt uns die heilige Katharina auch abseits aller Religiosität, dass man sich angesichts vermeintlich höherer Macht und Gelehrsamkeit nicht einschüchtern lassen sollte und für die eigenen Prinzipien einstehen darf.
Literatur in Auswahl
- Ganina, Natalija: Bräute Christi. Legenden und Traktate aus dem Straßburger Magdalenenkloster. Edition und Untersuchungen. Berlin, Boston 2016. (Kulturtopographie des alemannischen Raums. 7).
- Assion, Peter: Katharina von Alexandrien. In: Verfasserlexikon - Die deutsche Literatur des Mittelalters. Hrsg. von Burghart Wachinger. Berlin, New York 2010.
- Köpke, Friedrich Karl: Das Passional. Eine Legenden-Sammlung des dreizehnten Jahrhunderts. Quedlinburg [u.a.] 1852.
Digitalisat der Handschrift: https://unipub.uni-graz.at/urn:nbn:at:at-ubg:2-27565
Franziska Juritsch und David Karl Lang, Projektarbeit im Rahmen des Seminars „EX Historische Medien (Mittelalterliche Handschriften)“, Institut für Germanistik (Germanistische Mediävistik, Univ.-Prof. Dr. Julia Zimmermann)