Während des Nationalsozialismus wurden politisch und ‚rassisch‘ verfolgte BürgerInnen und Institutionen ihrer Besitztümer beraubt. Darunter befanden sich auch Bücher und sogar ganze Bibliotheken, die entweder direkt beschlagnahmt wurden oder aber fluchtbedingt zurückgelassen werden mussten und auf verschiedenen Wegen an öffentliche Bibliotheken gelangt sind.
Die Erwerbungsjournale der Universitätsbibliothek der Karl-Franzens-Universität Graz verzeichnen für den 20.6.1941 den Zugang der ersten acht Jahrgänge (1930‒1937) des von der Gesellschaft für Bibliophile herausgegebenen Jahrbuchs für Bücherfreunde, Imprimatur. Schlägt man den ersten Band auf, stößt man auf das abgebildete Exlibris.
Wer aber war Leo Lippmann, jener Bibliophile, der 1930 die von Hand nummerierte Luxusausgabe eines Jahrbuchs für Bücherfreunde mit seinem Exlibris versah, um sich bereits 1941 wieder davon zu trennen? Die Spur führt nach Hamburg, wo Leo Karl Lippmann am 26.5.1881 geboren wurde und eine gemäßigt orthodoxe jüdische Erziehung erhielt.[1] Nach einem juristischen und volkwirtschaftlichen Studium in München, Berlin und Kiel schlug Lippmann die Beamtenlaufbahn ein. 1906–1920 war er für das Liegenschaftsamt in Hamburg zuständig, 1920 wurde er zum Senatssekretär und 1921 zum ersten Staatsrat der Finanzdeputation ernannt. Im April 1933 wurde er aufgrund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums aus dem Staatsdienst entlassen. Ab November 1935 arbeitete er für die Jüdische Gemeinde Hamburg. Lippmann lehnte alle ihm gebotenen Möglichkeiten zur Auswanderung ab. Am 10. Juni 1943 teilte ihm die Gestapo seine für den darauffolgenden Tag geplante Deportation nach Theresienstadt mit. Daraufhin nahm er sich zusammen mit seiner Frau Anna Josephine, geb. von der Porten (1881−1943), das Leben.
Lippmann, ein begeisterter Büchersammler, hätte sich 1941 niemals von seinem Buch getrennt, wäre er nicht aus ‚rassischen‘ Gründen verfolgt worden. Auch wenn die UBG 1941 das betreffende Buch über ein Antiquariat bezog und 120,- RM dafür bezahlte, handelt es sich doch um ein NS-verfolgungsbedingt entzogenes – also ein aus heutiger Sicht unrechtmäßig erworbenes ‒ Buch.
Die Nachfahren Lippmanns, denen das Buch zurückgegeben werden sollte, haben entschieden, es der UBG zu schenken und folgenden Text einzukleben zu lassen, damit das Schicksal Leo Lippmanns vor dem Vergessen bewahrt werde:
This book was owned by Dr Leo Lippmann, the financial secretary of Hamburg until his dismissal for being Jewish in March 1933. It came into this library's collection via the bookseller Hauswedell. Leo Lippmann and his wife Anna took their own lives on 10 June 1943 on learning that he would be transported to a concentration camp soon after. This book remains in this library's collection with the support of his surviving relatives in Australia. It is their wish that he will be remembered by keeping this book in a public collection.
Birgit Scholz und Markus Lenhart
[1] Zur Biografie Lippmanns vgl. Lippmann, Leo: Mein Leben und meine amtliche Tätigkeit. Erinnerungen und ein Beitrag zur Finanzgeschichte Hamburgs. Aus dem Nachlass hrsg. von Werner Jochmann: Hamburg: Christians 1964. (= Veröffentlichung des Vereins für Hamburgische Geschichte. 9.)