Universitätsbibliothek Graz, Ms. 1609, fol. 258r-264v
Papier, 469 Bl., 140 x 110mm, 2 Teile: 1488/1451, Provenienz ungeklärt
Handschrift
Die Handschrift Ms. 1609 ist eine lateinische-deutsche Sammelhandschrift mit Fachprosa („Mondseer Koch- und Haushaltsbuch“), sie enthält überwiegend Koch- und medizinische Rezepte, darunter auch zwei Pesttraktate. Eine Besonderheit der Sammlung ist, dass sich die darin enthaltenen Papierlagen aufgrund ihrer Wasserzeichen zwei Altersstufen zuordnen lassen: Das eine Pesttraktat (fol. 279r-287r) befindet sich im Bereich der älteren (etwa 1450er Jahre) und das andere, hier im Fokus stehende im Bereich der jüngeren Lagen (etwa 1480er Jahre). In der Forschung wird gemeinhin davon ausgegangen, dass die beiden Traktate unabhängig voneinander entstanden sind. Die Herkunft der Handschrift konnte bislang noch nicht vollständig geklärt werden (Benediktiner?).
Kommentar
Welche Verhaltenstipps wurden im Mittelalter während einer Pandemie wie der Pest gegeben? Könnte man sich davon vielleicht noch heute etwas abschauen? Antworten darauf finden wir vielleicht im jüngeren deutschsprachigen Pesttraktat (fol. 258r-264v), das aufgrund seiner vierhebigen Reimpaarverse eher eine Seltenheit in mittelalterlicher Fachliteratur darstellt. Schritt für Schritt erfahren wir, welche Tipps und Tricks beherzigt werden müssen, um nicht von der Pestilents dahingerafft zu werden, die von vergiften luft enspringt (fol. 258r). Pointiert ließen sich die Ratschläge wie folgt zusammenfassen: beten, nach Vorschrift essen, sich waschen und vor allem: Essig benutzen!
Wie es sich für das Spätmittelalter gehört, gilt es zunächst, durch das Gebet die Verbindung zu Gott, der Jungfrau Maria sowie zum Heiligen Sebastian herzustellen – denn wenn selbst der Pestheilige nicht helfen kann, wer sonst? Sand Sebastians auch nit vergiss / Wann sein hilf ist gar gewiss! (fol. 258v)
Ein weiterer heißer Tipp ist ein haushaltsübliches Mittel: Essig. Wer zusätzlich zum Gebet aktiv werden möchte, sollte sich mit Essig Hände, Mund und Gesicht waschen. Dieser Universalhelfer ist aber nicht nur ein gutes Desinfektionsmittel, selbst die Speisen sollten damit begossen werden: Auch lasz dich nit verdriessenn / Dein speis soltu mit essich begiessen (fol. 259v). Während der Verzehr von Obst, Fisch und Milch untersagt ist, wird etwa das Essen von in Essig gekochten Linsen nachdrücklich empfohlen. Allzu lange sollte aber nicht bei Tische herumgelungert werden, denn dies verursacht Trübsal.
Apropos Trübsal: Vor Traurigkeit sollte man sich bei Pestgefahr ebenso hüten wie vor Unkeuschheit und übermäßiger Freude, denn diese öffnet das Herz zu weit, so dass die Pestilentz dort hineinkommen kann. Zudem sollte Schweinefleisch nicht auf der Speisekarte stehen, dagegen darf Wein durchaus getrunken werden, wenn auch nur mit Wasser verdünnt. Falls das nichts hilft, bietet das Traktat noch Rezepturen für Heil- und Schutztränke (u.a. aus einer in Wein eingelegten und gekochten Mixtur aus Salbei, Erdbeerkraut, Holunderbeeren, Beifuß und Ingwer) sowie für andere gute Pülverchen und Globuli. Auch auf den Aderlass und Theriak, das mittelalterliche Allheilmittel, sollte nicht verzichtet werden. Ob Pest, Cholera oder Syphilis – Theriak heilt alles und seine Wirkung setzt sofort ein (was vielleicht auf das darin enthaltene Opium zurückzuführen sein könnte). Aber Vorsicht vor Wechselwirkungen: Niemals Theriak und Globuli am selben Tag einnehmen, denn dann verlieren sie ihre Heilkraft: Welichs tags dw pillulas (Kügelchen) hast genommen / So soltu zue tiriakers nit kummen (fol. 262v)!
Schließlich ist die Körperpflege ein wichtiger Aspekt der Pestprävention: Um öffentliche Badestuben gilt es einen Bogen zu machen: Dw solt auch gemain padstuben meiden (fol. 260v). Der private Badezuber ist indes empfohlen, am besten mit Kamillen, Rosenblüten und Weidenrinde im Waschwasser. Wer nicht gerne badet, der sollte doch zumindest Füße und Knie ein- oder zweimal wöchentlich waschen.
Und noch ein letzter Rat: Selbst den Pest-Leugnern sei Abstand halten und Flucht ans Herz gelegt: Wann fluechen ist gar ein sicher ding / Vnd halten doch ettlich daz gar gering! (fol. 263r)
Literatur
- Wholanik: Deutschsprachige Pesttraktate – Volkssprachliche Ansätze zu Erklärung der Krankheit, Prophylaxe und Therapie“, Erstellt am 05.07.2019. URL: https://wissenausdemmittelalter.com/2019/07/05/deutschsprachige-pesttraktate-volkssprachliche-ansatze-zu-erklarung-der-krankheit-prophylaxe-und-therapie/#comments
- Digitalisat der Handschrift: https://unipub.uni-graz.at/urn:nbn:at:at-ubg:2-27022
Sandra Löscher und Nathalie Merdonik, Projektarbeit im Rahmen des Seminars „VU Historische Medien (Mittelalterliche Handschriften)“, Institut für Germanistik, Germanistische Mediävistik, Univ.-Prof. Dr. Julia Zimmermann