Vom Mittelalter bis in die Neuzeit hinein war die Vorstellung, Krankheiten würden von dämonischen Würmern verursacht, weit verbreitet. Mit Hilfe von Segensprüchen sollten sie ausgetrieben, die Gesundheit wieder hergestellt werden. Als „Grazer“ oder „Seckauer Wurmsegen“ ist jener mittelhochdeutsche Text bekannt, der in der Ms 1501 (fol. 132v-133r) überliefert wird. Bei der aus dem 12. Jh. stammenden, von starken Benutzungsspuren geprägten Sammelhandschrift, soll es sich ursprünglich um das Gebetbuch einer Seckauer Chorfrau gehandelt haben. [1] Heute befindet sie sich in der Abteilung für Sondersammlungen der Universitätsbibliothek Graz.
Der Grazer Wurmsegen gehört zu den so genannten „Hiob-Segen“. Zunächst wird das Gottvertrauen des biblischen Dulders Hiob beispielhaft vorgeführt, dann folgt das Befreiungsgebet durch direktes Ansprechen des/r Kranken und der Schädlinge. Leider ist gerade der mittlere Textteil, der die Würmer beim Namen nennt, durch Palimpsestierung stark verstümmelt. Im 14. Jh. ergänzte eine ungelenke Hand die Legende der Hl. Juliana an den unteren Blatträndern der Handschrift. Um ausreichend Platz für den Nachtrag zu schaffen, wurde die ursprüngliche Schrift auf den letzen Buchseiten getilgt und überschrieben.
Mit Hilfe von Chemikalien, deren Einsatz jedoch zu einer dauerhaften Verfärbung des Pergaments führte, gelang es dem Grazer Germanistikprofessor Anton Schönbach gegen Ende des 19. Jh. die verschwundenen Buchstaben teilweise wieder sichtbar zu machen. So erscheint in seiner Textrekonstruktion [2] neben dem zehrenden „manewurm“ und dem fressenden „harwurm“ auch der „perczel“ als Auslöser katarrhalischer Infekte.[3] Nach der feierlichen Toterklärung der Würmer und abschließenden Gebeten erfährt man allerdings, dass den hartnäckigen Plagegeistern nur durch oftmalige Wiederholung des Segens beizukommen war: „daz scolt du driestunden sprechen“…
Mag. Michaela Scheibl MSc
Link zum Volldigitalisat der Handschrift Ms 1501
Literaturverweise:
1Vgl. Eichler, Ferdinand: Aus einer österreichischen Bibliothek. Graz, 1909, S. 16
2Vgl. Schönbach, Anton: Zu den Denkmälern XLVII, 2 B, in: ZfdA 21 (1877), S. 413
3Vgl. Holzmann, Verena: „Ich beswer dich wurm und wyrmin …“ Formen und Typen altdeutscher Zaubersprüche und Segen. Bern, Lang, 2001, S. 97ff.